Wenn ein Automobilist mit 105 km/h durch eine Tempo 50-Zone rast, wandert er für mindestens ein Jahr ins Gefängnis. Dies, weil er vorsätzlich das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht. Viel zu krass, finden nun rechtsbürgerliche Politikerinnen und Politiker. Der Richter soll bei Raserdelikten im Einzelfall die Strafe mildern können, wenn die konkreten Umstände dies rechtfertigten. Das Parlament hat 2013 als indirekten Gegenvorschlag zur Raser-Initiative von CrossRoad festgeschrieben, welche Überschreitung als vorsätzliche schwere Gefährdung der Verkehrsteilnehmenden gilt: 40km/h Überschreitung in der Tempo 30-Zone, 50km/h in der 50-iger Zone, 60km/h in der 80-iger Zone und 80km/h, wo mehr als 80km signalisiert ist. Diese Werte wurden von Nationalrat und Ständerat mit grossem Mehr beschlossen. Die Initianten haben daraufhin ihre Volksinitiative, die noch schärfere Sanktionen verlangte, zurückgezogen.

Nur zwei Jahre nach Inkrafttreten des Raserartikels kennen die Gegner nun Personen, die „aus Versehen“ zu schnell gefahren sind und ganz sicher niemanden gefährden wollten. Sie berichten von Chauffeuren, die nach dem Ausweisentzug ihren Job verlieren. Kann man „zufällig“ mit 100km/h durch ein Dorf fahren? Leute, die kein Geschwindigkeitsempfinden und kein Gefühl für die Gefährdung von anderen haben, sind doch aus dem Verkehr zu ziehen. Und Personen, die berufsmässig unterwegs sind, müssen die Gefahren besonders gut kennen.

Interessant finde ich, dass ausgerechnet jene Kreise dem Richter ein Ermessen zubilligen wollen, die mit der Durchsetzungsinitiative der Justiz diese Möglichkeit wegnehmen wollen. Auch Bagatellfälle sollen bei ausländischen Einwohnerinnen und Einwohnern automatisch zum Landesverweis führen, denn der Richter darf nicht mehr berücksichtigen, unter welchen Umständen die Übertretung erfolgt ist und welche Konsequenzen ein Landesverweis für den Betroffenen, für seine Partnerin und seine Kinder hätte. Sicher, Strafen müssen konsequent ausgesprochen werden, doch müssen sie verhältnismässig sein, so wie dies die Bundesverfassung für alle Einwohnerinnen und Einwohner in der Schweiz vorsieht und garantiert.

„Die Armen hängt man, die Reichen lässt man laufen.“ Wir Schweizerinnen und Schweizer reagieren zurecht sehr empfindlich, wenn wir das Gefühl erhalten, es würden nicht alle gleich behandelt und „gewisse Personen“ geniessten Privilegien. Wieso sollen wir nun mit der Durchsetzungsinitiative genau diese Gleichbehandlung aufheben, indem Menschen, die schon immer da gewohnt haben, je nach Pass vor dem Gericht unterschiedliche Rechte hätten. Es ist deshalb in höchstem Masse unschweizerisch, für sich selbst beim Geschwindigkeitsexzess mildernde Umstände einzufordern, bei den anderen dies bei noch so geringen Vergehen nicht einmal in Erwägung zu ziehen. Das eine Mal ruft man nach milden Richtern, im andern Fall traut man ihnen nicht und nimmt ihnen das Recht, abzuwägen.

Unsere Demokratie funktioniert nur, wenn die Justiz unabhängig ist. Dazu gehört, dass Richter den Einzelfall beachten und verhältnissmässig urteilen können. Genau das schränkt die Durchsetzungsinitiative ein und ich lehne sie deswegen ab.