«Ich freue mich auf Begegnungen»

Wochenspiegel 27. November 2013 - Julia Fischer
SP-Politiker und Unternehmer Thomas Hardegger ist seit 2006 Gemeindepräsident von Rümlang. Vor zwei Jahren wurde er in den Nationalrat gewählt. Im Interview spricht er über seine vielseitigen Aufgaben.

Thomas Hardegger, Sie sind nun seit zwei Jahren als Nationalrat tätig. Was war bisher ihr grösster Frust?

Das sind einzelne Abstimmungsresultate, bei denen ich mir ein anderes Resultat erhofft hatte. Zum Beispiel beim Fluglärmabkommen mit Deutschland. Ich habe das abgelehnt, weil ich es als Fehlkonstruktion beurteile. Aber der National- und Ständerat haben nun mal zugestimmt.

Weshalb denken Sie, ist das Fluglärmabkommen eine Fehlkonstruktion?

Die Folgen sind, dass die neuen An- und Abflugsverfahren insgesamt zu mehr Flugkilometern und damit zu mehr Lärm führen. Dieser wird erst noch sehr einseitig verteilt.

 

Wie gehen Sie mit solchen Frustrationen um?

Ich kann damit leben, Misserfolge gibt es in der Politik, aber auch in jedem anderen Beruf. Wenn ich mit einem eigenen Vorstoss unterliege, dann ist das Anliegen nicht vom Tisch. Ich bringe es angepasst wieder und leiste noch mehr Überzeugungsarbeit, damit ich schliesslich doch eine Mehrheit dafür finde.

Und was hat Ihnen am meisten Freude bereitet?

Das sind die Entscheide, die in meinem Sinne gefällt werden. Vor allem natürlich, wenn eigene Vorstösse vom Bundesrat entgegengenommen werden oder National- und Ständerat diese zur Umsetzung überweisen. Das war zum Beispiel beim Vorstoss zu den Spitalinfektionen der Fall.

Worin unterscheidet sich die Politik auf nationaler Ebene zu Ihrer Arbeit als Gemeindepräsident in Rümlang?

Auf der Gemeindeebene bin ich viel direkter in Kontakt mit den Menschen, für die ich etwas bewirken oder verändern kann. Auf das Resultat dieser Arbeit bekomme ich häufig und schnell Reaktionen, weil ich die Menschen im Alltag antreffe. In der Gemeinde haben wir schneller etwas verändert, neu gestaltet oder verbessert. Auf nationaler Ebene geht es viel länger, bis ein Resultat der eigenen Arbeit sichtbar wird. Und weil sich National- und Ständerat einig sein müssen, geht es manchmal sehr lange, bis ein Beschluss verabschiedet wird. Deswegen können manchmal auch Beratungen zwei Jahre dauern, und falls es eine Volksabstimmung braucht, sogar drei Jahre.

Mit welchen Themen müssen Sie sich auseinandersetzen?

Auf nationaler Ebene müssen sich die Politiker auf einzelne Themen konzentrieren, denn niemand kann überall Fachmann sein. Bei mir ist das sicher die Verkehrspolitik, wo ich in der Kommission mitarbeite. Dazu gehören Schienenverkehr, Strassenverkehr und Luftverkehr. Auch Schwerpunkte sind das Gesundheitswesen und der Bereich Wohnen, Bauen und energetisch sanieren.

Was möchten Sie denn konkret im Gesundheitswesen verändern?

Im Interesse der Patientin und des Patienten stehen die Qualität und die Wirkung der Behandlung im Zentrum. Nicht alles, was machbar ist, erhöht die Lebensqualität, und jeder medizinische Eingriff stellt ja auch ein Risiko dar. Die Behandlung muss sich nach dem Nutzen für die Patienten richten und sich nicht an der Werbung der Pharmaindustrie und der Medizin orientieren.

Und welche Themen beschäftigen Sie als Gemeindepräsident?

Als Gemeindepräsident bin ich mit den Alltagsproblemen der Bewohner beschäftigt, auf die ich häufig sehr direkt angesprochen werde. Das beginnt mit dem Wunsch nach einem Fussgängerstreifen und geht über fehlende Parkplätze bis zu Klagen über Rechnungen der Gemeinde. Alles Fragen, die aus dem Alltag auftauchen. Das finde ich sehr abwechslungsreich und spannend. Und es ist auch dankbarer, weil wir im Gespräch oft schnell eine Lösung finden.

Wenn man dem Nationalrat zusieht, dann sieht man vor allem Frauen und Männer, die rein- und rausstürmen. Wie sinnvoll sind Debatten wirklich?

Bei verschiedenen Debatten muss ich mich tatsächlich fragen, warum sie so lange und ausführlich geführt werden, wenn vieles schon in den Kommissionen und Fraktionen diskutiert worden ist. Aber das gehört zu unserem politischen System. Die Bevölkerung hat das Recht, die Gründe für einen Entscheid zu erfahren, und das passiert insbesondere über die Medien, die diese Debatten wiedergeben. Einzelne Geschäfte werden aber tatsächlich erst aufgrund der Debatte im Ratssaal entschieden, dann, wenn auch in den Fraktionen die Meinung dazu nicht einheitlich ist.

Haben Sie dazu ein konkretes Beispiel?

Bei der Debatte über den Bankendeal mit den USA. Bei diesem ging es darum, ob und wie wir die Banken, die in den USA wegen Steuervergehen angeklagt sind, unterstützen können. Einige haben sich sicher erst aufgrund der Diskussion entschieden.

Hören sich die Nationalräte gegenseitig wirklich zu, wenn sie ein Referat halten?

Das kommt auf das Thema an. Ich höre vor allem dann zu, wenn es um die Geschäfte geht, in die ich selber involviert bin: zu Themen des Verkehrs, der Gesundheit oder zum Wohnen. Dann gehe ich auch auf die Argumente der anderen ein, wenn ich selber reden muss. Dann gibt es, bei denen man gleichzeitig ausserhalb des Ratssaals eine Besprechung oder eine andere Sitzung stattfindet. Da ist man dann nur für die Abstimmung im Saal.

Wenn Sie selber sprechen und es hört niemand zu, kommen Sie sich da nicht etwas blöd vor?

Da habe ich mich schnell daran gewöhnt. Ich spreche ja unter anderem für die Öffentlichkeit und für das Protokoll. Es gibt nun mal Beschlüsse, bei denen die Beweggründe dazu im Protokoll stehen müssen. Wenn es darum geht, einen Gesetzestext zu interpretieren, wird unter Umständen nachgeschaut, wie die Bestimmung gemeint ist, und das wird in den Protokollen nachgelesen.

Sind Sie mit Ihren vielen Tätigkeiten als Nationalrat, Gemeindepräsident und Geschäftsführer nicht überfordert?

Das ist eine Frage der Organisation. Die verschiedenen Tätigkeiten helfen mir auch immer in den anderen Bereichen. Wenn ich etwas in der Kommission diskutiere, überlege ich mir gleichzeitig immer: Wie würde man das Gesetz in der Gemeinde anwenden. So kann ich argumentieren, was praktikabel ist und was nicht. Und als Gemeindepräsident weiss ich immer, welche Gesetze nächstens angepasst werden und dass wir darauf vorbereitet sein müssen.

Zum Beispiel?

Wir haben in der neuen Pflege- und Spitalfinanzierung auf Gemeindeebene Umsetzungsprobleme, die der Nationalrat und Ständerat als Gesetz beschlossen haben. Gleichzeitig hilft mir die berufliche Tätigkeit, gerade bei Fragen zum Wohnen und Bauen, auch zu verstehen, was gute und was schlechte Gesetze sind und wo etwas geändert oder verbessert werden muss.

Wie gut können Sie in Ihrer Freizeit abschalten?

Zum Glück kommunizieren wir heute viel über das Handy oder E-Mail. Und das kann ich sehr gut steuern. Wenn ich in jedem Monat ein Wochenende als privat deklariere, kann ich das Handy auch mal abstellen und auf die Combox sprechen lassen. Und die E-Mails kann ich ganz gut am Montagmorgen wieder lesen. Solche Wochenenden helfen, wieder aufzutanken.

Ein Wochenende im Monat reicht Ihnen also, um abzuschalten?

Es geht auch um die Einstellung zu der Belastung. Wenn ich mich zu Verpflichtungen am Abend und Wochenende positiv einstelle und sie auch mit Freude mache, dann sind sie auch viel weniger belastend. Ich freue mich vor allem auf die Begegnungen mit den Menschen, und das ist immer wieder erfrischend und bereichernd.